Public Corporate Governance Kodizes
Rechtsgutachten der Hans-Böckler-Stiftung: Kodizes für Corporate Governance in kommunalen Unternehmen verstoßen teilweise gegen Gesetz
Rechtswidrig seien die in den untersuchten Beispiel-Kodizes enthaltenen Regelungen, die Vorstände und Aufsichtsräte auffordern, eine so genannte Entsprechenserklärung abzugeben
(10.12.10) - Mit Public Corporate Governance Kodizes (PCGKs) sollen öffentliche Unternehmen auf Grundsätze guter Unternehmensführung verpflichtet werden. Der Bund sowie einzelne Länder und Kommunen haben seit 2009 mehrere PCGK-Regelwerke für Unternehmen beschlossen, die vollständig oder mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören und überwiegend Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnehmen.
Dazu zählen beispielsweise kommunale Versorger. In weiten Teilen lehnen sich die Kodizes an den Deutschen Corporate Governance Kodex an und beschränken beispielsweise die Zahl der weiteren Aufsichtsratsmandate, die Aufsichtsratsmitglieder wahrnehmen dürfen. Hinzu kommen aber häufig zusätzliche Bestimmungen, mit denen die öffentlichen Eigentümer ihre Unternehmen besonders verbindlich kontrollieren und auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben verpflichten wollen.
So versuchen manche Kodizes, die Unternehmensführung an Beschlüsse der kommunalen Parlamente oder Behörden zu binden. Ein wesentlicher Teil dieser Regelungen ist rechtlich unzulässig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Thomas Raiser im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung.
Der emeritierte Lehrstuhinhaber für Deutsches und Europäisches Unternehmens- und Wirtschaftsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin untersuchte PCGKs am Beispiel von Kodex-Entwürfen aus zwei Städten in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Ergänzend zog der Rechtswissenschaftler den Public Corporate Governance Kodex des Bundes heran. Zentrale Ergebnisse des Gutachtens:
PCG-Kodizes haben den Rechtsstatus einer kommunalrechtlichen Verwaltungsrichtlinie. Sie sind für Unternehmen, die als Aktiengesellschaft oder als GmbH verfasst sind, nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Denn für diese Unternehmen ist das Aktien- oder GmbH-Gesetz maßgeblich.
Einzelne Bestimmungen eines Kodex können für die Unternehmensführung rechtlich verbindlich gemacht werden, indem sie in die Unternehmenssatzung aufgenommen werden. Allerdings setzt das Aktiengesetz hier klare rechtliche Schranken. Sowohl die darin festgelegten Grenzen für die Satzungszuständigkeit der Hauptversammlung sind zu beachten als auch die gesetzliche Anforderung, dass Vorstand und Aufsichtsrat ihre unternehmerischen Entscheidungen eigenverantwortlich und unabhängig von externen Weisungen treffen müssen.
Rechtswidrig sind laut Prof. Raiser die in den untersuchten Beispiel-Kodizes enthaltenen Regelungen, die Vorstände und Aufsichtsräte auffordern, eine so genannte Entsprechenserklärung abzugeben. Mit dieser Erklärung muss die Unternehmensleitung bestätigen, dass sie den Regelungen des Kodex folgt. Abweichungen müssen begründet werden. Für börsennotierte Aktiengesellschaften ist die Entsprechenserklärung durch das Aktiengesetz (§ 161) vorgeschrieben.
Dagegen fehlt nach dem Gutachten von Prof. Raiser bei nicht-börsengehandelten Unternehmen, zu denen die meisten öffentlichen Unternehmen gehören, eine Rechtsgrundlage für Forderungen nach einer Entsprechenserklärung. Trotzdem geht von ihnen ein faktischer Zwang aus, die in den Kodizes enthaltenen Bestimmungen zu befolgen. Das beeinträchtigt die unternehmerische Eigenverantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat.
"Das Verlangen nach einer Entsprechenserklärung verstößt daher gegen das Aktiengesetz und ist deshalb unzulässig und rechtlich wirkungslos", betont der Jurist. "Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats können eine Pflichtverletzung begehen, wenn sie dem Verlangen freiwillig nachkommen."
Als unzulässig wertet der Rechtswissenschaftler auch weitere Vorschriften aus den Beispielkodizes, die "die aktienrechtliche Kompetenzabgrenzung zwischen den drei Organen Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat und die unternehmerische Freiheit der Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats infrage stellen."
Dazu zählt Raiser Vorschriften über die Amtsdauer der Vorstandsmitglieder, vor allem aber Bestimmungen, mit denen Vorstand und/oder Aufsichtsrat unmittelbar oder mittelbar an konkrete Beschlüsse von Kommunalparlamenten oder -behörden gebunden werden sollen. Beispielhaft zitiert der Jurist Vorgaben wie: "Der Vorstand soll bei seinen Entscheidungen die Beschlüsse der Gemeindeorgane einbeziehen". Vorstand und Aufsichtsrat sollten "die Ziele der jeweiligen Stadtwirtschaftsstrategie verfolgen". Oder: Die Unternehmensleistung solle "die Gemeindeorgane über wichtige Vorhaben vor ihrem Vollzug informieren und sie ihr zur Entscheidung vorlegen".
Zulässig sind nach Raisers Expertise hingegen Bestimmungen, die lediglich im Aktienrecht ohnehin anerkannte Maßstäbe für eine pflichtgemäße Unternehmensführung verdeutlichen und ausdifferenzieren. Prof. Raiser nennt in diesem Zusammenhang: eine allgemeine Verpflichtung der Gesellschaft auf das doppelte Unternehmensziel des wirtschaftlichen Erfolgs und des Gemeinwohls. Zulässig seien auch die Vorschrift, dass dem Vorstand mindestens zwei Personen angehören müssen sowie Auswahlrichtlinien und persönliche Eignungsvoraussetzungen für Vorstandsmitglieder. Dazu gehören auch die Festlegung von Altersgrenzen und die Forderung, dass Vorstandsmitglieder die für ihr Amt erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen vorweisen sollen.
Rechtlich unproblematisch seien ferner Vorschriften für die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat, wonach dem Kontrollgremium keine ehemaligen Vorstandsmitglieder angehören dürfen und Aufsichtsratsmitglieder maximal fünf Mandate wahrnehmen dürfen. Zulässig nennt der Rechtswissenschaftler auch Festlegungen, für welche Geschäfte der Vorstand auf alle Fälle die Zustimmung des Aufsichtsrats braucht. (Hans-Böckler-Stiftung: ra)
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