Zahlungen mit Verbraucherkreditkarten
Die von Visa festgesetzten multilateralen Interbankenentgelte (MIF) kollidieren möglicherweise mit dem EU-Kartellrecht
Kartellrecht: Europäische Kommission richtet ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte an Visa
(08.08.12) - Die Europäische Kommission hat Visa weitere Ausführungen übermittelt, in denen sie darlegt, dass die von Visa festgesetzten multilateralen Interbankenentgelte (MIF) möglicherweise nicht mit dem EU-Kartellrecht im Einklang stehen. Diese sogenannte ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte bezieht sich auf die von Visa festgesetzten MIF für Zahlungen mit Verbraucherkreditkarten im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Die MIF geben einen Mindestpreis für die Händler vor und sind daher ein wesentlicher Teil ihrer Gesamtkosten bei der Annahme von Visa-Zahlungskarten von Privatkunden.
Die Kommission vertritt nach dem derzeitigen Stand der Untersuchung die Auffassung, dass die MIF den Wettbewerb zwischen Banken einschränken und gegen das im EU-Kartellrecht verankerte Verbot von Kartellen und wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen verstoßen. Ferner hegt die Kommission Zweifel, ob die von Visa festgelegten MIF für die Erzielung von Effizienzgewinnen, die Händlern und Verbrauchern zugutekommen, erforderlich sind und nicht unter das Verbot fallen. Die Übermittlung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte greift dem endgültigen Ergebnis des Verfahrens nicht vor.
Die Mitteilung der Beschwerdepunkte bezieht sich auf alle MIF, die Visa für Zahlungen mit Verbraucherkreditkarten im EWR festlegt. Sie gelten derzeit für alle grenzüberschreitenden Transaktionen im EWR sowie für inländische Transaktionen in acht EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Schweden und Ungarn). Die Interbankenentgelte werden von den Händlerbanken (Acquirer) für Transaktionen mit Privatkunden-Kreditkarten von Visa an die Banken der Karteninhaber (Issuer) gezahlt.
Die Kommission ist zu dem vorläufigen Schluss gekommen, dass die MIF den Preiswettbewerb zwischen Banken verringern, da sie einen wichtigen Kostenfaktor für alle Händlerbanken schaffen. Nach Auffassung der Kommission beeinträchtigen die MIF den Wettbewerb zwischen den Händlerbanken, treiben die Kosten der Händler für die Annahme von Zahlungskarten in die Höhe und führen letztendlich zu einem Anstieg der Verbraucherpreise. Die Kommission orientiert sich in ihrer Analyse eng am Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom Mai 2012 in der Rechtssache Mastercard (Rechtssache T-111/08), in dem die Feststellungen der Kommission zu diesen Aspekten uneingeschränkt bestätigt wurden.
Die Kommission ist in dieser Phase des Verfahrens zudem der Auffassung, dass der Beitrag der MIF zum technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt, der eine Freistellung nach Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) rechtfertigen könnte, nicht nachgewiesen ist. Doch selbst wenn ein solcher Beitrag bestünde, würden nach Auffassung der Kommission die MIF von Visa keine angemessene Beteiligung der Verbraucher an den Gewinnen ermöglichen. Außerdem scheinen die derzeitigen MIF des Unternehmens nicht unbedingt erforderlich, um die ins Feld geführten Effizienzgewinne zu erzielen.
Ferner ist die Kommission zu dem vorläufigen Schluss gelangt, dass die Bestimmungen, nach denen die Händlerbanken bei grenzüberschreitenden Transaktionen die in dem Land der Transaktion geltenden MIF zahlen müssen, grenzüberschreitende Acquiring-Dienstleistungen erschweren und die Segmentierung in nationale Märkte aufrechterhalten. Dies verstößt nach Auffassung der Kommission gegen EU-Kartellrecht und hindert Händler daran, niedrigere MIF in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen.
Hintergrund
Rund 41 Prozent aller im EWR ausgegebenen Zahlungskarten sind Kredit- und Debitkarten von Visa, das im EWR über das größte Akzeptanznetz verfügt. Visa-Zahlungskarten werden im EWR von mehr als 5 Millionen Händlern akzeptiert. 2010 wurden im EWR insgesamt 35 Mrd. Transaktionen im Wert von 1800 Mrd. EUR mit Zahlungskarten vorgenommen.
Nach der Eröffnung des Verfahrens im März 2008 übermittelte die Kommission Visa im April 2009 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte bezüglich der multilateralen Interbankenentgelte (MIF) für Transaktionen mit Privatkunden-Kreditkarten und für Debitkartentransaktionen. Visa Europe bot daraufhin an, seine MIF für Debitkartenzahlungen auf höchstens 0,20 Prozent zu begrenzen. Dieses Verpflichtungsangebot wurde von der Kommission im Dezember 2010 für rechtsverbindlich erklärt. Das Verfahren zur Prüfung der MIF für Zahlungen mit Verbraucherkreditkarten wurde fortgesetzt.
Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens verbieten Kartelle und andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen. Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV sind bestimmte Verhaltensweisen, die zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des Fortschritts beitragen, von diesem Verbot ausgenommen, sofern die Verbraucher an dem entstehenden Gewinn beteiligt werden und die Verhaltensweisen angemessen sind und den Wettbewerb nicht ausschalten.
Verfahren
Eine ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte ist ein Verfahrensschritt in einer Kartelluntersuchung, mit dem die Kommission den Beteiligten schriftlich mitteilt, welche weiteren Vorwürfe gegen sie erhoben werden. Die Adressaten einer solchen Mitteilung können schriftlich Stellung nehmen, eine Anhörung beantragen und Einsicht in die Kommissionsakte nehmen.
Die Kommission kann anschließend entscheiden, ob die in der ergänzenden Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegte Verhaltensweise mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar ist oder nicht. (Europäische Kommission: ra)
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