
Marktbeherrschende Stellung
EU-Kommission akzeptiert Verpflichtungen von Corning zur Wahrung des Wettbewerbs beim Angebot von Abdeckglas für tragbare Elektronikgeräte
Corning vertreibt Alkali-AS-Glas im Wesentlichen unter der Marke "Gorilla Glass"
Die Europäische Kommission hat Verpflichtungsangebote von Corning nach den EU-Kartellvorschriften für rechtsverbindlich erklärt. Die Verpflichtungen räumen die Bedenken der Kommission aus in Bezug auf von Corning geschlossene mutmaßlich wettbewerbswidrige Alleinbezugsvereinbarungen für Alkali-Aluminosilikatglas (im Folgenden "Alkali-AS-Glas"), das hauptsächlich als Abdeckglas in Smartphones und anderen tragbaren Elektronikgeräten zum Einsatz kommt.
Vorläufige Bedenken der Kommission
Das Unternehmen Corning mit Sitz in den USA ist ein weltweit tätiger Hersteller von Glas für zahlreiche Produkte für Industrie und Verbraucher. Das von Corning hergestellte Alkali-AS-Glas ist besonders bruchfest und kommt vor allem als Abdeckglas für Displays von tragbaren Elektronikgeräten wie Mobiltelefonen, Tablets oder Smartwatches zum Einsatz. Corning vertreibt Alkali-AS-Glas im Wesentlichen unter der Marke "Gorilla Glass". Alkali-AS-Glas lässt sich in zwei kommerziell relevante Untergruppen unterteilen: Lithium-Aluminosilikatglas ("LAS-Glas") und Natrium-Aluminosilikatglas ("NAS-Glas").
Am 6. November 2024 leitete die Kommission ein förmliches Prüfverfahren ein wegen Bedenken, dass Corning den Wettbewerb auf dem Weltmarkt für Alkali-AS-Glas verfälschen könnte. Die Kommission stellte vorläufig fest, dass Corning auf diesem Markt eine beherrschende Stellung innehat. Ferner ergab sich, dass die von Corning für Apple entwickelten Produkte nicht Teil dieses Marktes sind, da das Glas für Apple eine besondere Zusammensetzung hat und nur von Apple verwendet wird.
Nach der vorläufigen Beurteilung der Kommission könnte Corning seine beherrschende Stellung auf dem Markt für Alkali-AS-Glas unter Verstoß gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) missbraucht haben, indem es mit Herstellern (Originalgerätehersteller oder "OEM") tragbarer Elektronikgeräte und mit Unternehmen, die Rohglas wie Alkali-AS-Glass veredeln (im Folgenden "Veredler"), Alleinbezugsvereinbarungen geschlossen hat. Dieses Verhalten könnte andere Alkali-AS-Glashersteller von großen Segmenten des relevanten Marktes ausschließen.
Verpflichtungen
Um die vorläufigen Bedenken der Kommission auszuräumen, bot Corning bestimmte Verpflichtungen an. Die Kommission unterzog diese Verpflichtungsangebote im Zeitraum vom 25. November 2024 bis zum 13. Januar 2025 einem Markttest, um Stellungnahmen betroffener Dritter dazu einzuholen, ob die wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch die angebotenen Verpflichtungen ausgeräumt würden.
Angesichts der Ergebnisse dieses Markttests änderte Corning die ursprünglichen Verpflichtungsangebote und machte folgende endgültige Verpflichtungszusagen:
>> Sowohl Alkali-AS-Glas als auch transparente Glaskeramik, die als Abdeckglas in tragbaren Elektronikgeräten zum Einsatz kommen, fallen in den Anwendungsbereich der Verpflichtungen. Transparente Glaskeramik wurde in die Verpflichtungen aufgenommen, da dieses Abdeckmaterial künftig von OEM umfassender verwendet werden dürfte. Die Verpflichtungen beziehen sich jedoch nicht auf die Vereinbarungen von Corning mit Apple, da die Kommission festgestellt hat, dass die von Corning für Apple entwickelten Abdeckglasprodukte nicht zum relevanten Markt gehören.
>> Corning verzichtet in allen derzeitigen Vereinbarungen mit OEM und Veredlern auf alle Ausschließlichkeitsklauseln und wird auch in künftige Vereinbarungen keine solchen oder ähnlichen Klauseln mit gleicher Wirkung aufnehmen.
>> Im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR): Was den Bedarf von OEM an Alkali-AS-Glas und transparenter Glaskeramik für im EWR verkaufte tragbare Elektronikgeräte betrifft, wird Corning von den OEM nicht ausdrücklich verlangen, selbst oder über ihre Lieferkette bestimmte Mengen Alkali-AS-Glas oder transparenter Glaskeramik von Corning zu beziehen, und Preisvorteile nicht an solche Bezugsanforderungen knüpfen.
>> Weltweit: In Bezug auf i) den kombinierten weltweiten Bedarf von OEM an Abdeckglas für tragbare Elektronikgeräte aus Alkali-AS-Glas und transparenter Glaskeramik und ii) auf den weltweiten Bedarf von OEM in den Segmenten Abdeckglas für tragbare Elektronikgeräte aus LAS-Glas oder transparenter Glaskeramik wird Corning von den OEM bzw. ihrer Lieferkette nicht verlangen, mehr als 50 Prozent ihres jeweiligen Bedarfs bei Corning zu decken. Ohne diese separaten Obergrenzen könnte Corning in den wettbewerbsrelevanten Segmenten für LAS-Glas und transparente Glaskeramik Alleinbezugsanforderungen einführen und dennoch unterhalb der Gesamtobergrenze bleiben. Ferner wird Corning Preisvorteile nicht an solche Bezugsanforderungen knüpfen.
>> Corning wird von den Veredlern nicht verlangen, mehr als 50 Prozent ihres kombinierten weltweiten Bedarfs an Abdeckglas für tragbare Elektronikgeräte aus Alkali-AS-Glas (NAS-Glas, LAS-Glas) und transparenter Glaskeramik von Corning zu beziehen, und wird Preisvorteile nicht an solche Bezugsanforderungen knüpfen. Ferner wird Corning keine Bezugsanforderungen für ein bestimmtes Segment (d. h. NAS-Glas, LAS-Glas oder transparente Glaskeramik) dieser weltweiten Nachfrage verwenden und Preisvorteile nicht an solche Bezugsanforderungen knüpfen. Somit können die Veredler frei entscheiden, wie sie die Gesamtobergrenze in Bezug auf Art und Menge der verschiedenen Abdeckeckmaterialien einhalten.
>> Bei der Durchsetzung (vor Gericht oder per Schiedsverfahren) der Patente von Corning in Bezug auf bruchfestes Abdeckglas, die in den Anwendungsbereich der Verpflichtungen fallen, wird Corning seine Ansprüche nur auf Patentverletzungen und nicht auf Vertragsverletzungen stützen. Zudem wird Corning keine anderen vertraglichen Mechanismen (z. B. Sanktionen) nutzen, um seine Patentansprüche zu stärken.
>> Corning wird eine Standardklausel zur Bekämpfung von Umgehungspraktiken einfügen, die in einem den Verpflichtungen beigefügten Auslegungsvermerk näher erläutert wird.
>> Corning wird diese Verpflichtungen in einer an die wichtigsten Interessenträger (OEM und Veredler) gerichteten Marktkommunikation in englischer und chinesischer Sprache (Mandarin) inhaltlich erläutern.
Die Kommission ist zu dem Schluss gelangt, dass die oben genannten endgültigen Verpflichtungen die in ihrer vorläufigen Beurteilung festgestellten Wettbewerbsbedenken zum Verhalten von Corning ausräumen. Daher hat sie beschlossen, die Verpflichtungen für Corning rechtsverbindlich zu machen.
Die Verpflichtungen gelten weltweit neun Jahre lang. Ein Überwachungstreuhänder, der Chinesisch (Mandarin) spricht, soll ihre Umsetzung gewährleisten.
Hintergrund
Artikel 102 AEUV, der auch von den nationalen Wettbewerbsbehörden angewandt werden kann, verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verhindern oder beschränken kann. Wie diese Bestimmung umzusetzen ist, ist in der Verordnung Nr. 1/2003 geregelt.
Nach Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung 1/2003 können Unternehmen, die von einer Untersuchung der Kommission betroffen sind, Verpflichtungen anbieten, um die Bedenken der Kommission auszuräumen. Die Kommission kann einen Beschluss erlassen, durch den diese Verpflichtungszusagen für die Unternehmen bindend werden. Mit einem solchen Beschluss wird nicht festgestellt, ob die EU-Kartellvorschriften verletzt wurden, sondern der Adressat des Beschlusses Unternehmen wird rechtlich zur Einhaltung seiner Zusagen verpflichtet.
Artikel 27 Absatz 4 der Verordnung 1/2003 sieht vor, dass die Kommission vor dem Erlass eines solchen Beschlusses den betroffenen Marktteilnehmern Gelegenheit gibt, zu den angebotenen Verpflichtungen Stellung zu nehmen.
Sollte das betreffende Unternehmen gegen die Verpflichtungen verstoßen, kann die Kommission eine Geldbuße in Höhe von bis zu 10 Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens oder ein Zwangsgeld von 5 Prozent seines Tagesumsatzes für jeden Tag der Nichteinhaltung verhängen, ohne einen Verstoß gegen die EU-Kartellvorschriften feststellen zu müssen. (EU-Kommission: ra)
eingetragen: 02.08.25