Kartellfall "Gorilla Glass"
EU-Kommission leitet kartellrechtliche Untersuchung zu möglichen wettbewerbswidrigen Praktiken von Corning in Bezug auf Abdeckglas für elektronische Geräte ein
Die Kommission hat Bedenken, dass Corning den Wettbewerb durch den Abschluss wettbewerbswidriger Alleinbelieferungsvereinbarungen mit und mit Unternehmen, die Rohglas verarbeiten, verfälscht haben könnte
Die Europäische Kommission hat ein förmliches Prüfverfahren eingeleitet, um zu untersuchen, ob Corning ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für einen speziellen Glastyp missbraucht hat, der hauptsächlich zum Schutz der Displays von tragbaren elektronischen Geräten wie Mobiltelefonen verwendet wird.
Das US-amerikanische Unternehmen Corning ist eine weltweit tätige Herstellerin von Glas, das in zahlreichen Industrie- und Verbraucherprodukten zum Einsatz kommt. Corning stellt Alkali-Aluminosilikatglas (im Folgenden "Alkali-AS-Glas") her, ein besonders bruchfestes Glas, das hauptsächlich als Abdeckglas für Displays von tragbaren elektronischen Geräten wie Mobiltelefonen, Tablets oder Smartwatches verwendet wird. Corning vertreibt Alkali-AS-Glas unter anderem unter der Marke "Gorilla Glass".
Die Kommission hat Bedenken, dass Corning den Wettbewerb durch den Abschluss wettbewerbswidriger Alleinbelieferungsvereinbarungen mit Mobiltelefonherstellern (Original Equipment Manufacturers oder OEM) und mit Unternehmen, die Rohglas verarbeiten ("Veredler"), verfälscht haben könnte.
Insbesondere hat Corning in ihre Vereinbarungen mit Mobiltelefon-OEM offenbar Folgendes aufgenommen:
>> Alleinbezugsverpflichtungen, mit denen die OEM verpflichtet werden, ihren gesamten oder nahezu ihren gesamten Bedarf an Alkali-AS-Glas bei Corning zu decken.
>> Ausschließlichkeitsrabatte, die den OEM unter der Bedingung, dass sie die Alleinbezugsverpflichtungen einhalten, gewährt werden.
>> Englische Klauseln, die die OEM verpflichten, Corning Angebote von Wettbewerbern zu melden und darauf nur einzugehen, wenn Corning nicht denselben Preis bietet.
Zudem hat Corning in ihre Vereinbarungen mit Veredlern offenbar Folgendes aufgenommen:
>> Alleinbezugsverpflichtungen, die die Veredler verpflichten, ihren gesamten oder nahezu ihren gesamten Bedarf an Alkali-AS-Glas oder einem wichtigen Untertyp von Alkali-AS-Glas bei Corning zu decken.
>> Nichtanfechtungsklauseln, die Veredler daran hindern, die Patente von Corning anzufechten.
Die Kommission befürchtet, dass Corning mit den Vereinbarungen, die das Unternehmen mit den OEM und Veredlern geschlossen hat, konkurrierende Glashersteller von großen Segmenten des Markts ausgeschlossen haben und damit eine Verringerung der Auswahl der Kunden, Preissteigerungen und die Behinderung von Innovationen zum Nachteil der Verbraucher weltweit bewirkt haben könnte.
Sollte dies nachgewiesen werden, könnte das untersuchte Verhalten gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen, die den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbieten (Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)).
Die Kommission wird dieser eingehenden Prüfung Vorrang einräumen. Das Verfahren wird ergebnisoffen geführt.
Parallel zur Einleitung des Verfahrens hat die Kommission in einer vorläufigen Beurteilung die wichtigsten Fakten des Falls zusammengefasst und ihre Wettbewerbsbedenken dargelegt. Um die Bedenken der Kommission auszuräumen, kann Corning nun Verpflichtungszusagen unterbreiten.
Hintergrund
Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, die den Handel innerhalb der EU beeinträchtigen und den Wettbewerb verhindern oder beschränken kann. Wie diese Bestimmung umzusetzen ist, ist in der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegt, die auch von den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten angewandt werden kann.
In einer vorläufigen Beurteilung werden die wichtigsten Fakten des Falls zusammengefasst und die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission dargelegt. Nach Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1/2003 kann der Adressat der vorläufigen Beurteilung Verpflichtungszusagen anbieten, um diese Bedenken auszuräumen, und die Kommission kann das Kartellverfahren durch Annahme der Verpflichtungszusagen eines Unternehmens abschließen. Mit einem solchen Beschluss wird nicht festgestellt, ob ein Verstoß gegen die EU-Kartellvorschriften vorliegt. Vielmehr wird das Unternehmen rechtlich verpflichtet, den Verpflichtungszusagen nachzukommen.
Nach Artikel 11 Absatz 6 der Verordnung Nr. 1/2003 entfällt mit der Verfahrenseinleitung durch die Kommission die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts in der jeweiligen Sache. Artikel 16 Absatz 1 dieser Verordnung besagt ferner, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Entscheidungen erlassen dürfen, die einem Beschluss zuwiderlaufen, den die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt.
Die Kommission hat Corning und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten über die Einleitung des Verfahrens in dieser Sache informiert. Für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung gibt es keine verbindliche Frist. Wie lange sie dauert, hängt unter anderem von der Komplexität des Falls, der Bereitschaft der betreffenden Unternehmen, mit der Kommission zu kooperieren, und der Ausübung der Verteidigungsrechte ab. (EU-Kommission: ra)
eingetragen: 11.11.24
Newsletterlauf: 14.01.25
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