Arm an Scham, aber mit Freude im Amt
Auch nach dem Rücktritt: Die Plagiats-Affäre um die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg offenbart ein hohes Maß an Schamlosigkeit
Über die Unfähigkeit, sich zu schämen: Der späte Rücktritt des Verteidigungsministers ist geprägt von mangelndem Eingeständnis eigener Schuld und fehlender Scham
Ein Kommentar von Rainer Annuscheit
(03.03.11) - Zu Guttenberg inszeniert zu Guttenberg: Konsequent bis zur Rücktrittsrede ist der Argumentationsstrang von (Selbst)Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von fehlender Scham gekennzeichnet. Sie gipfelte in der grotesken Aussage, die Medien und die Öffentlichkeit seien Schuld an seinem Rücktritt, weil sie die Aufmerksamkeit nur auf ihn und seine Promotion und nicht etwa auf die drei toten deutschen Soldaten in Afghanistan gelenkt hätten.
Gerade zu beispielhaft schamlos suchte zu Guttenberg bis zum Schluss die Fehler bei anderen und nicht bei sich selbst. Für einen Menschen, der sich immer als sehr charakterstark darzustellen wusste, ein erstaunlicher Hinweis auf eine Charakterschwäche. Dieses verbale Nachtreten in Richtung Medien wäre auf dem Fußballplatz eine Rote Karte wert gewesen: Die Instrumentalisierung von gefallenen Soldaten im Afghanistan-Krieg, um von eigenem Fehlverhalten abzulenken: So etwas gehört sich nicht, Herr Ex-Minister. Das ist absolut unredlich!
Viel gewundert hat man sich in den Medien über die fehlende Scham, die schon der parlamentarischen Rechtfertigungsrede von Karl-Theodor zu Guttenberg innewohnte. Der Verteidigungsminister müsse doch eigentlich vor Scham im Erdboden versinken, nachdem ihm derartig viele plagiierte Stellen in seiner Dissertation nachgewiesen worden seien. Wie stehe er vor seiner Familie da?
Doch weit gefehlt: Selbst die teilweise entgleisenden Beschimpfungen seitens der Abgeordneten, die sich der Verteidigungsminister im Parlament anhören musste, schienen an ihm wirkungslos abzuprallen. Man musste nach der Erklärung von zu Guttenberg im Bundestag den Eindruck gewinnen, die Wissenschaft habe ihm eigentlich dankbar zu sein, dass er sich für die Plagiate in aller Öffentlichkeit entschuldige. Dr. jur. Heribert Prantl, Leiter der Redaktion Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, sagte direkt prophetisch in einem Kommentar auf Radio Bremen, bei zu Guttenberg sei eben alles anders, da komme "Hochmut vor und nach dem Fall".
Für Juristen war das Festhalten der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel an ihrem Verteidigungsminister schlicht weg ein Skandal und mehr als schamlos. Sowohl die schizophrene Trennung zwischen einem Menschen und Wissenschaftler einerseits und einen Minister andererseits als auch die Verniedlichung der Plagiatsaffäre als Schlampigkeit habe Signalwirkung. Gewissermaßen könnte sich nun auch ein Ladendieb auf die Causa zu Guttenberg berufen und behaupten, er habe nur "schlampig eingekauft".
Darüber hinaus offenbarte das Verhalten der Kanzlerin eine fatal-oportunistische Denkweise mit niederen Beweggründen: "Wenn der Verteidigungsminister im Volk so beliebt ist wie die Umfragen es bezeugen, werde ich ihn aus wahlkampftaktischen Gründen stützen und halten - mit welch ethisch fragwürdigen Argumenten auch immer. Erst kommt die Partei - dann eine saubere Politik. Das sitzen wir aus." Diese Nibelungen-artigen Denkstrukturen erinnern stark an ihren Ziehvater Alt-Kanzler Helmut Kohl und seine Weigerung, in der CDU-Spendenaffäre die Namen der Spender zu nennen. Damals wie heute fehlten Scham und Einsicht.
Dass die Beliebtheit eines Politikers in der Bevökerung zudem ganz und gar nichts zu tun hat mit seiner politischen und moralischen Integrität, erkennt man am italienischen Bunga-Bunga-Berlusconi. Wer geschickt die mediale Klaviatur zu spielen vermag, kommt beim Wählervolk immer gut an. Kleinere "Fehlerchen" werden schnell verziehen. Wenn es ausschließlich nach Berlusconi ginge, würde man das Wort Scham aus dem italienischen Wörterbuch ohnehin komplett streichen. Es ist ebenso überflüssig wie die parlamentarische Opposition.
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte zum Rücktritt zu Guttenbergs: "Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein Mensch mit einer herausragenden politischen Begabung, mit einer ganz eigenen Fähigkeit, die Herzen der Menschen zu erreichen." Da muss man doch zynisch anmerken: Das ist Berlusconi auch! Die Causa zu Guttenberg hat insofern die Kanzlerin selbst beschädigt.
Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (von 1967 bis 1969 Rektor der Ruhr-Universität Bochum) bezweifelte im ZDF heute journal die Argumentation von zu Guttenberg, er habe bei der Abfassung seiner Promotionsarbeit lediglich handwerkliche Fehler begangen, die ihm nicht weiter aufgefallen seien. Wenn große Teile einer Dissertation aus Plagiaten bestünden, müsse man das wissen, sagte Biedenkopf.
Doch vielleicht haben die handwerklichen Fehler auch System? Sind einfach der Ausdruck einer nicht vorhandenen wissenschaftlichen Fähigkeit? Angeblich, so hieß es am Montag in den Medien, habe zu Guttenberg offenbar nur mit einer Sondergenehmigung eines CSU-nahen Professors promovieren dürfen, weil seine Examensnote zu schlecht für eine Zulassung zur Promotion gewesen sei.
Für breite Teile in den Medien und in der Wissenschaft ist die nahezu kindliche Unbefangenheit, die zu Guttenberg seiner Dissertation immer noch entgegenbringt, ein weiteres Indiz dafür, dass er sie gar nicht geschrieben hat. Man kann sich halt nicht ehrlicherweise für etwas schämen, das man überhaupt nicht verfasst hat.
Obendrein gehört Adaption fremden Wissens für jeden Minister zum Alltagsgeschäft, so dass es leicht zu einem Realitätsverlust kommen kann. Auch bei einem Verteidigungsminister ist dies nicht anders. Beispielsweise erstellt der Planungsstab im Verteidigungsministerium nach den Vorgaben des Ministers Reden, Artikel und Grundsatzdokumente und Ähnliches, die ein Minister wiederum als eigenes Know-how zum Besten geben darf bzw. muss. Sich mit fremden Federn schmücken zu müssen, ist für einen Minister quasi der Normalzustand. Warum sollte man sich dann ausgerechnet für eine von fremder Hand verfassten Promotion schämen müssen?
Doch wenn zu Guttenberg seine Dissertation nicht geschrieben haben sollte, ob sich dann der wahre Autor für das Plagiat schämen muss? Schämen, weil er die Wissenschaft und einen Verteidigungsminister hintergangen hat?
Wohl kaum. Wer so dreist plagiiert, tut dies eigentlich mit Absicht. Der will und weiß es auch, dass dieses Plagiat irgendwann enttarnt wird, oder er will es wahrscheinlich selbst zu einem von ihm bestimmt Zeitpunkt enttarnen (lassen). Was wiederum darauf hindeuten würde, dass es im Umfeld von Karl-Theodor zu Guttenberg nicht nur politische Freunde gibt und gab.
Meines Erachtens lautet die spannende Frage in diesem Zusammenhang: "Wurde zu Guttenberg nach allen Regeln der Kunst gelinkt?" - "Wenn ja, weiß er auch von wem?" - Auch das Thema "Erpressbarkeit" eines Ministers hätte in diesem Zusammenhang an politischer Relevanz gewonnen, wäre der Minister nicht jetzt zurückgetreten.
Und wo wir gerade beim Thema "Schamlosigkeit" sind: Schamlosigkeit scheint nicht nur dem Verteidigungsminister zu Eigen, sie hält offensichtlich auch Einzug ins Verteidigungsministerium - dort, wo sonst die Soldatenehre im Allgemeinen doch sehr hochgehalten wird.
Der Beigeschmack ist mehr als bitter: Das Verteidigungsministerium will die Bundeswehrreform intensiv bewerben - und zwar angeblich zunächst ausschließlich bei dem Medienkonzern, der den Verteidigungsminister bislang so hartnäckig in der Plagiatsaffäre vor allen Angriffen in Schutz genommen hat. Die Axel Springer-Medien "Bild", "Bild am Sonntag" und "Bild.de" erhalten Medienberichten zufolge, die auch seitens des Verteidigungsministeriums bestätigt worden seien, einen größeren Anzeigenetat. "Eine Hand wäscht die andere"? - Man wird den Verdacht nicht los.
(Compliance-Magazin.de)
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