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Eine schwache Eisenbahn-Regulierungsstelle


Bahnverkehr: Frankreich und das Vereinigte Königreich setzen im Kanaltunnel EU-Vorschriften nicht um
Übermäßige Wegeentgelte bedeuten für Bahnreisende und Frachtunternehmen höhere Preise für die Tunnelnutzung

(15.07.13) - Die Europäische Kommission hat Frankreich und das Vereinigte Königreich förmlich aufgefordert, die EU-Vorschriften gegen überhöhte Wegeentgelte für Personen- und Güterzüge im Kanaltunnel einzuhalten. Die Kommission hat die beiden Länder ferner aufgefordert, die vollständige Unabhängigkeit der Regulierungsstelle zu gewährleisten und eine restriktive Nutzungsvereinbarung außer Kraft zu setzen, die derzeit bestimmten Zugbetreibern Kapazitäten reserviert. Die hohen Wegeentgelte werden über die Fahrkartenpreise auf die Fahrgäste abgewälzt, und Frachtunternehmen beschweren sich, dass sie es sich nicht leisten können, mehr Güter durch den Tunnel zu befördern – sodass diese auf der Straße bleiben und Staus und Umweltverschmutzung verursachen.

Siim Kallas, Vizepräsident der Europäischen Kommission, erklärte hierzu: "Die Kapazitäten des Kanaltunnels werden aufgrund dieser überhöhten Wegeentgelte nicht voll ausgeschöpft. Damit werden mehr Güter auf der Straße befördert anstatt auf der Schiene, für Frachtunternehmen und ihre Kunden fallen überhöhte Kosten an, und Fahrgäste müssen überteuerte Tickets kaufen. Das aktuelle System erstickt zudem das Wachstum im Eisenbahnsektor."

Hintergrund
Frankreich und das Vereinigte Königreich verstoßen im Hinblick auf die Kanaltunnelverbindung gegen zentrale Bestimmungen des ersten Eisenbahnpakets (Richtlinien 91/440/EWG und 2001/14/EG, jetzt ersetzt durch eine Neufassung). Die Hauptprobleme sind die folgenden:

Hohe Wegeentgelte
Übermäßige Wegeentgelte bedeuten für Bahnreisende und Frachtunternehmen höhere Preise für die Tunnelnutzung. Ferner halten sie neue Zugbetreiber vom Markteintritt ab. Nach den EU-Vorschriften sind die Wegeentgelte in Höhe der direkten bzw. Grenzkosten festzulegen – jener Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen. Eine Ausnahme gilt nur für spezifische Investitionsvorhaben, aufgrund deren langfristiger Kosten höhere Entgelte festgelegt werden können.

Die derzeitigen Entgelte für die Nutzung der Infrastruktur des Kanaltunnels scheinen nicht auf den unmittelbaren Kosten oder den langfristigen Investitionskosten des Tunnelbaus zu beruhen. Die Kommission wurde von zahlreichen Interessenträgern kontaktiert, die sich darüber beschweren, dass die Nutzungsentgelte überhöht sind. Das Tarifgefüge ist komplex, doch seien als Beispiel folgende Entgelte genannt: Für Personenzüge (je nach Tageszeit) 16,60 EUR je Fahrgast zuzüglich mindestens eines Reservierungsentgelts in Höhe von 4.320 EUR (je Strecke); für Güterzüge (je nach Tageszeit) mindestens 3.645 EUR je Zug (eine Strecke). Nach Auffassung der Kommission sollten diese Entgelte deutlich niedriger sein.

Trotz der Marktöffnung im internationalen Schienenpersonenverkehr am 1. Januar 2010 nutzt derzeit nur ein Betreiber von Personenzügen (Eurostar) den Kanaltunnel. Zwar gibt es mehrere Schienengüterverkehrsunternehmen, doch fahren durchschnittlich nur sechs Güterzüge täglich durch den Tunnel – womit dessen Kapazität bei weitem nicht ausgelastet ist. Alles in allem bleibt die Tunnelkapazität zu 43 Prozent ungenutzt.

Eine schwache Eisenbahn-Regulierungsstelle
Der Tunnel hat seine eigene Eisenbahn-Regulierungsstelle – die sogenannte Regierungskommission (Intergovernmental Commission – IGC). Die Regulierungsstelle sollte den Wettbewerb überwachen und zur wirksamen Behebung von Marktproblemen aus eigener Initiative Entscheidungen treffen, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Entgelte mit den EU-Vorschriften. Die IGC hat in ihrer derzeitigen Form nicht die Befugnis, aus eigener Initiative – ohne Vorliegen einer Beschwerde – Entscheidungen zu treffen.
Nach den EU-Rechtsvorschriften muss die Regulierungsstelle zudem von Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreibern unabhängig sein, was bei der IGC nicht der Fall ist. Sie setzt sich zusammen aus von den Regierungen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs ernannten Vertretern. Eurostar wird kontrolliert von den französischen bzw. britischen Staatsunternehmen SNCF (zu 55 Prozent) und LCR (zu 40 Prozent). Die mangelnde Unabhängigkeit einer Eisenbahn-Regulierungsstelle kann dazu führen, dass sie Beschwerden von Zugbetreibern nicht unabhängig prüft oder keine Entscheidungen zur Durchsetzung von EU-Vorschriften trifft. Dies wiederum kann zur Wettbewerbsverfälschung führen.

Eine restriktive Nutzungsvereinbarung
Die Nutzungsvereinbarung (1987) zwischen Eurotunnel und bestimmten Zugbetreibern, die bestimmten Betreibern Kapazitäten für 65 Jahre zuteilt, ist nach EU-Vorschriften aufgrund ihrer Dauer unzulässig – eine solche Vereinbarung kann nur für einen kürzeren Zeitraum getroffen werden.

Die Mitgliedstaaten hatten die Bestimmungen des ersten Eisenbahnpakets bis zum 15. März 2003 umzusetzen. Die erste Runde von Vertragsverletzungsverfahren richtete sich gegen 24 Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und das Vereinigte Königreich im Jahr 2008. Diese Schreiben betrafen jedoch nicht die spezifischen Probleme der Kanaltunnelverbindung. 2011 brachte die Kommission diese Angelegenheit gegenüber Frankreich und dem Vereinigten Königreich in der Erwartung vor, sie im Wege informeller Verhandlungen lösen zu können. Bisher haben die Kontakte jedoch nicht zur Einhaltung der EU-Vorschriften geführt.

Die an Frankreich und das Vereinigte Königreich gerichtete förmliche Aufforderung zur Einhaltung der EU-Vorschriften ergeht in Form einer "mit Gründen versehenen Stellungnahme". Frankreich und das Vereinigte Königreich haben nun zwei Monate Zeit, um sich dazu zu äußern. Geschieht dies nicht, kann die Kommission den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen.

Eurotunnel - wichtige Fakten (Quelle: Eurotunnel)

>> 43 Prozent der Tunnelkapazität sind derzeit ungenutzt.

>> Der Personenverkehr hat in den letzten Jahren langsam zugenommen – 2012 nutzen 9,9 Mio. Fahrgäste den Tunnel nach 9,7 Mio. im Jahr 2011.

>> Der Schienengüterverkehr ist jedoch rückläufig. 2012 fuhren nur 2325 Güterzüge durch den Tunnel (nach 2388 im Jahr 2011 und 2718 im Jahr 2008).

>> Pendelverkehrsdienste von Eurotunnel (Personen- und Güterverkehr) sind von den meisten Eisenbahnvorschriften der EU, einschließlich jener für Wegeentgelte, ausgenommen und nicht Gegenstand dieses Vertragsverletzungsverfahrens.
(Europäische Kommission: ra)


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