Finanzkrise: Anlegerschützer fordern Warnhinweise
Anwalt für Umkehr der Beweislast zu Lasten der Banken: "Dieses Produkt kann Ihr Vermögen schädigen und zum Totalverlust Ihres eingesetzten Kapitals führen"
Weiter erforderlich sei eine persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern der Bankkonzerne
(16.10.08) - Nachdem die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise und Bankenkrise jetzt mit voller Härte auf deutsche Kleinanleger durchschlagen, fordern ausgewiesene Anlegerschutzexperten umfassende rechtliche Konsequenzen. "Wenn der Gesetzgeber schon den Bürgern nicht zutraut, auf Ihre eigene Gesundheit zu achten und deshalb vor Jahren bereits Warnhinweise auf Zigarettenverpackungen eingeführt hat, so muss er ähnliches jetzt auch mit Finanzprodukten tun", fordert Jens-Peter Gieschen, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht aus der Hamburger Kanzlei KWAG.
Ein fettgedruckter Hinweis "Dieses Produkt kann Ihr Vermögen schädigen und zum Totalverlust Ihres eingesetzten Kapitals führen" auf allen Prospekten und Werbeflyern hätte zumindest eine aufklärende Funktion, meint Gieschen. Warnhinweise würden heute gern auf den hinteren Seiten eines Prospektes oder tief im Kleingedruckten versteckt. "Von Provisionen getriebene ‚Berater’ reden die Risiken in Beratungsgesprächen klein oder negieren sie sogar vollständig", sagt Gieschen und der Dumme sei am Ende immer der Verbraucher: "So werden Kleinsparer, die etwas für das Alter oder die Ausbildung der Kinder zurücklegen wollen, häufig zu Sozialfällen, während die Banken die Gewinne einstreichen."
Die staatliche Aufsicht und Regulierung der Finanzmärkte ist nach Gieschens Ansicht seit Jahren unzureichend. Daran hätten auch neuere gesetzliche Regelungen, wie die europäische Finanzmarktrichtlinie MiFiD, nichts geändert.
"Einerseits fordert der Staat von seinen Bürgern immer größere Eigeninitiative gerade im Bereich der Altersvorsorge, andererseits ist der gesetzliche Schutz gegen die wirtschaftliche Macht der Banken und Finanzinstitute unzureichend oder wird durch eine "willfährige Rechtsprechung" des sogenannten Bankensenats des Bundesgerichtshofes ausgehöhlt, meint Gieschen.
Die auf Kapitalanlagerrecht spezialisierte Kanzlei KWAG aus Bremen und Hamburg ist seit Jahren ausschließlich auf Verbraucherseite tätig. "Es gibt nichts, was wir dabei nicht schon erlebt haben: langlaufende Steuersparfonds als Altersvorsorge, die an 80-Jährige verkauft werden, Technologieaktien die zur Absicherung der Ausbildungsfinanzierung empfohlen werden, Schrottimmobilien als Geldanlage für Geringverdiener, hochkomplizierte Zins-SWAP-Produkte als Finanzierungslösungen für Mittelständler," bilanziert der Fachanwalt. Die Banken seien erfinderisch, wenn es darum gehe, den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen: "Und dieses Geld nutzen sie dann sehr erfolgreich, um Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel zu betreiben, um längst notwendige Kontrollsysteme zu verhindern."
Seiner Ansicht nach ist auch das staatliche Bundesamt für Finanzdienstleistungen (BaFin) weitgehend ein "zahnloser Tiger" und Regulierungsgesetze, wie die MiFiD, würden solange weichgespült, bis von Anlegerrechten kaum noch etwas übrig geblieben ist. Und dieses wenige werde dann von den obersten Gerichten auch noch niedergetreten, ganz nach dem Motto "Wer Geld nicht in Bundesschatzbriefen anlegt, ist auch nicht schutzwürdig oder sowieso ein risikobereiter Zocker.
Schon lange fordern Anlegerschützer deshalb umfangreiche gesetzliche Regulierungen. Ein erster wichtiger Schritt wäre für Gieschen die Änderung der Beweislast: "Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die betroffenen Anleger beweisen müssen, dass sie falsch beraten worden sind." Umgekehrt müsste die Bank beweisen, dass sie auf alle Risiken hingewiesen hat. Um in Zukunft auch die Gefahr von massenhafter Geldflucht zu verhindern, sei ein aktiver Anlegerschutz erforderlich und keine Staatsbürgschaft.
Weiter erforderlich sei eine persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern der Bankkonzerne. Außerdem sollte über eine etwa auf den Internetseiten des BaFin veröffentlichte "Gefährdungsliste" nachgedacht werden, auf der alle in Deutschland vertriebenen Finanzprodukte mit Ampelsymbolen entsprechend ihrer Risikoklasse bewertet werden.
Die ökonomischen Folgen des ungezügelten Bankentreibens sind nach Gieschen Berechnungen für die deutsche Volkswirtschaft weit höher, als beispielsweise die Behandlungskosten für Raucher: "Hochriskante Finanzprodukte mit Bezeichnungen wie 'Zertifikat’ von lateinischen 'certus', also 'sicher, gewiß', zu versehen, ist fast so, als würde man Zigaretten künftig als 'Duftkerzen' verkaufen." (KWAG: jpg/kg: ra)
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