Schutzlücke im Datenschutz gefüllt
Hoher Stellenwert des Datenschutzes: Nach Auffassung der GDD hat die digitale Welt die Entwicklung des Grundrechts auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" zum Schutze der Nutzer notwendig gemacht
GDD begrüßt Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass bereits die Speicherung auf Vorrat einen Nachteil für die Freiheit und Privatheit des Einzelnen birgt
(27.03.08) - Nach Einschätzung der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung e.V. (GDD) hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sog. Online-Durchsuchung (Az. 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07) den Datenschutz in einem wichtigen Bereich gestärkt und gleichzeitig Maßstäbe für künftige gerichtliche und gesetzgeberische Entscheidungen gesetzt.
Nach Auffassung der GDD hat die digitale Welt die Entwicklung des Grundrechts auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" zum Schutze der Nutzer notwendig gemacht. Darüber hinaus hatte die GDD schon frühzeitig darauf hingewiesen, dass der geplante "Bundestrojaner" nicht nur Persönlichkeitsrechte, sondern auch die Unternehmenssicherheit bedroht. Insofern hält der Verband es für wichtig, dass nunmehr auch das Bundesverfassungsgericht das Schadenspotenzial eines heimlichen Zugriffs auf IT-Systeme betont hat.
Die Entscheidung dürfte im Übrigen nicht nur im Hinblick auf zukünftige gesetzgeberische Aktivitäten, sondern auch hinsichtlich der von der GDD als verfassungswidrig eingestuften gesetzlichen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung relevant sein. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht die Intensität derartiger Grundrechtseingriffe betont. Eine staatliche Datenerhebung aus komplexen informationstechnischen Systemen weist ein beträchtliches Potenzial für die Ausforschung der Persönlichkeit des Betroffenen auf.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Erhebung von Kommunikationsdaten der Nutzer moderner IuK-Technologien einen Grundrechtseingriff mit erheblicher Streubreite darstellt. Aus gutem Grund hat auch der Deutsche Bundestag (BT-Drs. 16/545, S. 3) hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung bereits festgestellt, dass Grundrechtseingriffe, von denen zahlreiche Personen betroffen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, besonders schwerwiegend sind und deshalb einer besonderen Rechtfertigung bedürfen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr im Fall der Online-Durchsuchung - nicht zuletzt mit Blick auf eine möglichst unbefangene Individualkommunikation - entsprechend hohe Anforderungen an staatliche Datenerhebungen aus komplexen IT-Systemen gestellt, indem es folgende Aussage getroffen hat:
"Der Grundrechtseingriff, der in dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System liegt, entspricht im Rahmen einer präventiven Zielsetzung angesichts seiner Intensität nur dann dem Gebot der Angemessenheit, wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen."
Eingriffsvoraussetzung ist mithin eine konkrete existenzielle Bedrohungslage. Überragend wichtige Rechtsgüter sind nach der Entscheidung Leib, Leben und Freiheit der Person sowie solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.
Im Einklang mit seinen Entscheidungen zur Online-Durchsuchung und zur automatisierten Erfassung von Kfz-Kennzeichen hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner einstweiligen Anordnung vom 19.03.2008 gegen die Verwendung von Telekommunikationsdaten zur Verfolgung minder schwerer Straftaten abermals den hohen Stellenwert des Datenschutzes betont.
Mit seiner Entscheidung trägt das Gericht dem von der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung e.V. (GDD) und der Stiftervereinigung der Presse e.V. herausgegebenen Rechtsgutachten zur Vorratsdatenspeicherung insoweit Rechnung, als es den Vollzug überobligatorischer, d.h. vom EU-Recht nicht vorgegebener Überwachungsregelungen ausgesetzt hat. Die GDD hält die Möglichkeit zur unbefangenen Nutzung der Telekommunikation bzw. des Internet in einem demokratischen Rechtsstaat für unerlässlich. Insofern teilt sie in dem Gutachten die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, dass die umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für im Einzelnen noch nicht absehbare Zwecke einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken kann.
Vorerst dürfen die Vorratsdaten vom Diensteanbieter nur in solchen Fällen übermittelt und nachfolgend von staatlichen Stellen genutzt werden, in denen Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. Ausgeschlossen ist damit zunächst ein Verkehrsdatenabruf bei Verdacht auf sonstige "Straftaten von im Einzelfall erheblicher Bedeutung" oder auf Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden.
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die den Providern auferlegte Speicherpflicht an sich angesichts der – noch in Kraft befindlichen – EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht ausgesetzt hat, so begrüßt die GDD doch mit Blick auf das noch anstehende Hauptsacheverfahren die Aussage des Gerichts, dass bereits die Speicherung auf Vorrat einen Nachteil für die Freiheit und Privatheit des Einzelnen birgt, der sich durch einen nachfolgenden Abruf der Daten verdichtet und konkretisiert.
Nach Auffassung der GDD verstößt bereits die anlasslose und massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten unbescholtener Bürger sowohl gegen die Europäische Menschenrechtskonvention als auch gegen deutsches Verfassungsrecht, was zeitnah vom Europäischen Gerichtshof bzw. vom Bundesverfassungsgericht abschließend festgestellt werden sollte. Im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht weist die GDD nochmals ausdrücklich darauf hin, dass die der Vorratsdatenspeicherung zu Grunde liegende EU-Richtlinie vor dem Hintergrund der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität erlassen worden ist. Minder schwere Straftaten seien hiervon abzugrenzen. (GDD: ra)
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